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Lingua Blablativa – was Politiker alles (nicht) sagen

Verantwortlicher Autor: Herbert J. Hopfgartner Salzburg, 13.08.2023, 19:46 Uhr
Presse-Ressort von: Prof.Mag.art.DDr.phil. Hopfgartner B.A. Bericht 13197x gelesen

Salzburg [ENA] Man kennt das Phänomen: Wenn Politiker zu sprechen beginnen, tauchen wohlbekannte und oft gebrauchte Stehsätze auf. Statt auf die Frage des Reporters einzugehen, werden mit ewig gleichen Bausteinen aus einem Textbaukasten abgenutzte Worthülsen und Sprechblasen aus dem Parteiprogramm wiedergegeben. Oft scheint es, wird mit vielen Worten wenig oder nichts gesagt. Wollen Politiker vielleicht gar nicht verstanden werden?

Floskel, die (Substantiv, feminin; vgl. das lateinische „flosculus“ = „Blümchen“): „Lassen Sie mich das noch in einem Satz beantworten…“ Was nun folgt, ist eine minutenlange Werbung für die Partei, wobei mit keinem einzigen Wort auf die Frage des Journalisten eingegangen wird. Der Politiker lobt die Leistungen der eigenen Fraktion respektive der Regierung in den höchsten Tönen. Beispielsweise hätte diese soeben „die größte Steuerreform aller Zeiten“ beschlossen; diese sei „sozial ausgewogen“, „durch Einnahmen ausfinanziert“ und in allen Belangen „vorbildhaft für Europa“.

Generell trete man für „mehr Anstand in der Politik ein“, man fordere dies „offen und ehrlich“ bzw. „nachdrücklich“ auch von der Opposition. „Mit Bedacht nehme man viel Geld in die Hand“ und arbeite „mit Hochdruck“ bzw. „mit Verantwortungsgefühl und Augenmaß“, um „notwendige Strukturreformen umzusetzen“. „Am Ende des Tages“ würde jeder sehen können, wie „effektiv und effizient die Regierung auf die großen Herausforderungen reagiert habe“ und dass dem einzelnen Bürger „mehr Geld im Börserl bleibe“.

Meist verwenden Regierungspolitiker bei der Beschreibung ihrer Arbeit den Superlativ, Oppositionspolitiker hingegen kritisieren und verspotten die Entscheidungen mit untergriffigen und bösartigen Wortspenden und hässlichen Zwischenrufen. Fernsehzuschauer erleben die Debatten im Parlament als niveaulos und kontra-produktiv, außerdem spottet die Wortwahl einiger Abgeordneten jeder Beschreibung.

Durch die Blume: Politiker jeglicher Parteizugehörigkeit gebrauchen auffällig gern die Floskeln: „Wer mich kennt, weiß, dass ich…“ sowie „Ich habe immer gesagt…“ – gepaart mit treuem Hundeblick oder staatsmännischer Würde. Einerseits können die Archive großer Zeitungen und Fernsehsender relativ leicht das Gegenteil des Gesagten beweisen, andererseits kennen die Fernsehzuschauer, Zeitungsleser und Radiohörer den Politiker ohnehin nicht persönlich. Kein Mensch kann also wissen, was jener Volksvertreter irgendwann einmal gedacht und gesagt hat. Höchstwahrscheinlich sollen die oben angeführten Phrasen Authentizität und Aufrichtigkeit vermitteln – tun sie aber nicht, inflationär verwendet wirken sie eher peinlich.

Wenn man einem Volksvertreter in der Folge divergierende Aussagen vorhält, beteuert dieser empört, dass die Erklärungen „aus dem Zusammenhang gerissen werden und gänzlich andere Situationen betreffen würden“ – oder er es in der Vergangenheit „einfach ganz anders gemeint habe“. Zudem sollte nicht vergessen werden, dass er „stets nach bestem Wissen und Gewissen und zum Wohle der Menschen in dem Land handle.“ Bei schwierigen Situationen versprechen Politiker vieles oder gleich alles: Es werden zig Millionen oder Milliarden Euro „in die Hand genommen“ – „koste es, was es wolle“ – schließlich gehe es „um den Standort (z.B. Österreich), den Wohlstand im Land und um jeden einzelnen Mitbürger“.

So „beschließe die Regierung große, substanzielle und wichtige Neuerungen“. Sie kämpfe „entschlossen“ für „die kleinen Leute“, man „wolle schließlich keinen Menschen verlieren“. Dafür werde man „an mehreren Schrauben gleichzeitig drehen müssen“, aber: wer „über den Tellerrand hinausblicke“ sehe, dass „Österreich bei den Reformen im internationalen Vergleich auf dem ersten Platz liege“. Des Weiteren „schaffe die Regierung tausende Arbeitsplätze im Gesundheits- und Pflegebereich, in der Bildung und im Sicherheitsbereich“, obwohl es dafür weit und breit weder qualifizierte Arbeitskräfte, eine gesicherte Finanzierung noch die notwendige Infrastruktur gibt.

Dieselben Politiker, die diese großspurigen Versprechen abgeben, haben meistens die Ausbildungsbereiche in jüngster Vergangenheit entweder totgespart oder völlig sinnlos verkompliziert. So scheinen sie wohl mitverantwortlich zu sein, dass es keine oder zu wenig Absolventen in den oben genannten Arbeitsfeldern gibt… Bei Natur-Katastrophen zeigt man sich volksnah und mitfühlend. Regierungsvertreter reisen ins Krisengebiet und lassen sich dort mit ernstem Gesicht fotografieren, schütteln mit bewegter Miene Hände von Soldaten, Sanitätern und Betroffenen, zeigen sich bestürzt und sprechen davon, dass „man rasch, unbürokratisch und entschlossen handeln werde.“

Ob und wann die Hilfen überhaupt ankommen, ist nach Ausstrahlung der TV-Bilder nicht mehr wichtig. Hauptsache, man war und ist in den Medien präsent. Nach einem handfesten Skandal müsse dieser „selbstverständlich schonungslos aufgeklärt werden“, weil es an den schlimmen Tatsachen „nichts zu beschönigen gibt“. „Man nehme die Kritik ernst“, in der Realität versucht man aber gleichzeitig, die leidigsten Dinge zu vertuschen, Beweismittel zu vernichten und die Schuld möglichst einem anderen zuzuschieben. Freche Fragen von investigativen Journalisten „weise man mit Nachdruck und in aller Deutlichkeit (Klarheit, Schärfe) zurück!“ Die Vermutungen seien „durch nichts zu rechtfertigen“ und ohnehin nur „haltlose Unterstellungen“.

In der Folge gibt man notgedrungen „grünes Licht“ für einen Untersuchungsausschuss, den man anschließend entweder ignoriert oder dessen Arbeit man mit allen legalen und illegalen Mitteln torpediert. Werden schlussendlich doch Fehler bei Parteifreunden aufgedeckt, zeigen sich Politiker „entsetzt und sind entrüstet“, „sehen aber kein Problem im politischen System oder in der eigenen Partei“. Man „hatte hiervon selbstverständlich keine Kenntnis“, „man kenne auch nicht jeden Mitarbeiter“, werde aber „die Sachlage ernsthaft prüfen und sich rasch um eine Aufklärung bemühen.“

Schließlich müsse man „Schaden vom Land abwenden!“ „Im Übrigen gäbe es noch zahlreiche offene Fragen“ und außerdem „gelte für alle Beteiligten die Unschuldsvermutung.“ Persönlich „sei man zutiefst überzeugt, dass die Gerichte ihre Arbeit machen werden“ – auch wenn man bei der nächsten Gelegenheit der Justitia wieder ans Bein pinkelt. Aber… das „strengste Antikorruptionsgesetz der Welt“ sei ohnehin schon beschlossen…

Nachweislich werden Politiker aufgrund ihrer leichtfertigen Versprechen für die Zukunft gewählt und kaum wegen ihrer Leistungen in der Vergangenheit. So müssen sie ständig Aufmerksamkeit erregen, mediale Präsenz zeigen und den Wählern irgendetwas versprechen. Dabei fällt auf, dass, wenn Politiker zu reden beginnen, unvermittelt inhaltslose Floskeln und leere Phrasen zu hören sind. Niklas Luhmann nannte diese Sprache eine „Lingua Blablativa“ !.

Anscheinend werden viel zu viele inkompetente und mäßig intelligente Volksvertreter von Strategieberatern und Spin-Doktoren dahingehend trainiert, ungefragt und ungebeten stupide Worthülsen und sinnentleerte Sprechblasen aus dem Parteiprogramm wiederzugeben – in der Hoffnung, dass der genervte und lethargische Wähler sich von den dargebotenen Trivialitäten und Plattheiten doch noch beeindrucken lässt. Und – es scheint ein Faktum zu sein: Politiker, die andere respektlos beschimpfen, bewusst die Unwahrheit sagen, zu keiner Zeit an der Lösung eines Problems interessiert sind und letztlich die Spaltung der Gesellschaft vorantreiben, ernten reichlich Applaus und erhalten bei Wahlen erstaunlich viele Stimmen.

Weltweit bedienen Populisten (die immer gleichen) Vorurteile: Sie zielen auf Ressentiments, benennen vorschnell Schuldige und sind damit bei einem erschreckend großen Teil der Gesellschaft erfolgreich. Sie nutzen eine intolerante Stimmung, beschwören eindringlich den Niedergang der eigenen Kultur, denunzieren die „Elite“ und legitimieren das gemeine Volk (oder den Stammtisch) als höhere Macht.

In einer funktionierenden Demokratie sollten genügend wache Geister leben, die den größten Unsinn und die unverschämtesten Lügen zu entlarven imstande sind. Neben einer vielfältigen und kritischen Medienwelt sowie einer urteilsfähigen Bürgerschaft bedarf es dazu aber aufrichtige und achtbare Volksvertreter, die für eine gedeihliche Entwicklung des Gemeinwesens eintreten – und das auch verständlich respektive „unverblümt“ sagen!

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