Isolde Charim über "Die Qualen des Narzissmus"
Wien [ENA] Sind wir wirklich alle narzisstisch, wie die österreichische Philosophin Isolde Charim in ihrem neuen Buch "Die Qualen des Narzissmus - über freiwillige Unterwerfung" behauptet? Wenigstens lassen ihre atemberaubenden, engmaschigen Analysen in der Tradition der Frankfurter Schule keinen Zweifel darüber aufkommen und präsentieren einmal mehr ein ganzes philosophisches System über den Zustand unserer Gesellschaft.
Der Modus, wie Isolde Charim das macht, erinnert an die Aufsehen erregenden philosophischer Exkurse früherer Zeiten, die wie riesige Erntemaschinen den Theorienwald pflügen und dabei durchaus tiefe Furchen und neue Muster hinterlassen. Das ist durchaus spannend und verlangt eine seiltänzerische Kopf Akrobatik, die in Charims Buch durchaus gefordert wird. Denn schon allein ihre Auseinandersetzung mit Étienne de la Boéties These zum Trieb zur Freiheit, Baruch Spinozas freiwilliger Knechtschaft als inneres Verhältnis oder Louis Althussers Anrufung und freiwillige Unterwerfung lassen die Theorienteile, wie von einer konzentrierten Mikadospielerin in immer neue Würfe fallen, die durchaus interessante und überlegenswerte Spuren hinterlassen.
Wie zum Beispiel jene, dass der Narzisst ein gespaltenes Subjekt ist, das von einer unerreichbaren Idealvorstellung eines besseren Ichs angetrieben ist und damit zum unglücklichen Subjekt wird, das dem gesellschaftlichen Narzissmus nicht entrinnen kann. Denn im Zentrum des Bewußtseins steht nicht das Ich, sondern das imaginäre Ich-Ideal. Dabei möchte aber Charim ihren Begriff deutlich vom dem der Charakterstörung abgrenzen, indem sie Narzissmus als gesellschaftliche Normalität definiert. Die These ihres Buches, dass die vorherrschende Anrufung, der wir heute folgen, der Narzissmus ist, impliziert ein imaginäres Verhältnis zur Welt, das aber trotzdem zur Bedingung unseres Funktionierens in einer kapitalistischen Gesellschaft wird.