Donnerstag, 07.11.2024 07:48 Uhr

Die Macht der Bilder

Verantwortlicher Autor: Herbert J. Hopfgartnber Salzburg, 22.01.2024, 22:20 Uhr
Presse-Ressort von: Prof.Mag.art.DDr.phil. Hopfgartner B.A. Bericht 13525x gelesen

Salzburg [ENA] „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.“ Diese Redensart ist auch eine Metapher dafür, dass ein Bild respektive eine Fotografie oft einen stärkeren Eindruck beim Betrachter ausübt als ein umfangreicher Text. Nicht nur die Werbeindustrie, sondern auch die Politik nützt dieses Phänomen - mit retuschierten und gefälschten Bildern wurde und wird bewusst Stimmung für oder gegen etwas gemacht...

Seriöse Berichterstattung, inszenierte Meinungsmache oder schiere Propaganda? Getrickst und getäuscht wurde wohl schon immer: mit falschen Meldungen und geschönten Statistiken, später auch mit künstlich veränderten Fotos und Filmen. Gerade der arglose Glaube an ein Bild, das man vermeintlich gesehen und „wahrgenommen“ (!) hat, wurde und wird gewissenlos ausgenützt, um Menschen zu täuschen und sie irrezuleiten. Schließlich geht es um viel – vor allem um Macht.

Schöne, neue Welt: George Orwell beschreibt in 1984 einen fiktiven Überwachungsstaat, der als „Großer Bruder“ Bücher verbrennt, kritische Stimmen mundtot macht und ein „Wahrheitsministerium“ installiert, das nicht zuletzt genau die Wahrheit mit allen Mitteln unterdrückt. Aldous Huxley schildert gar eine Schöne neue Welt (1932), in der die Menschen durch Indoktrination, Konsum und Drogen gar keine Lust mehr auf das Lesen von Büchern, auf das Hinterfragen von gesellschaftlichen Zuständen haben. Sie funktionieren, mehr nicht.

Beiden Utopien gleich ist die bewusste Unterdrückung von Menschen mit Hilfe ausgeklügelter Propaganda. Auffallend viele fragen sich zurzeit, ob nicht ähnliche Phänomen in unserer Gesellschaft spürbar und wirksam sind. Gerade die ständig abrufbaren audiovisuellen Angebote im TV und Internet bieten den Menschen so viel Infotainment, Action und Comedy, dass sie gar nicht mehr imstande sind nachzudenken. Ständiges Amüsement, eigentlich die Abwesenheit von Muße (!), verhindert aber Kontemplation, Konzentration und Reflexion. Hans Magnus Enzensberger schien das wohl zu spüren, wenn er schon in den 1980-Jahren darauf hinwies, dass das Fernsehen „primär als eine wohldefinierte Methode zur genussreichen Gehirnwäsche eingesetzt“ werde.

Massenkultur – Kultur der Massen: Max Horkheimer und Theodor W. Adorno (Dialektik der Aufklärung, 1944) waren der Ansicht, dass eine industriell und arbeitsteilig produzierte Kultur dem Menschen die Kraft und die Phantasie nimmt, eigene Empfindungen und Vorstellungen zu entwickeln – bequemerweise übernimmt sie sogar das Nachdenken für ihn. Die „Kulturindustrie“ erzeugt und liefert Szenen, Slogans und Sounds, die die Konsumenten ununterbrochen verlangen und verbrauchen. Wenig überraschend dominiert die Ökonomie das Denken der Kulturindustrie, wobei die Vermarktung und Gewinnmaximierung rigoros über jegliche ästhetischen Inhalte bestimmen.

Wie soll der Mensch nun mit den bilderreichen Medien umgehen? Von seriösen Journalisten und Redakteuren wird erwartet, dass sie akribisch und gewissenhaft recherchieren, eingehend und profund analysieren und in großen, integralen Zusammenhängen denken. Rezipienten sollen die Fähigkeit zur Kritik und Reflexion aufweisen, damit sie die dargebotenen Nachrichten und Informationen, Illustrationen und Aufnahmen nicht nur wahrnehmen und verstehen, sondern auch beurteilen und nach Wichtigkeit und Wahrheitsgehalt einschätzen können. Ist dem so?

Für Neil Postman (1931-2003) „ist am Fernsehen nicht problematisch, dass es uns unterhaltsame Themen präsentiert, (sondern) dass es jedes Thema als Unterhaltung präsentiert.“ Ähnliches oder Gleiches gilt für das „weltweite Netz“. Private Produzenten wie auch öffentlich-rechtliche Sender scheinen in erster Linie auf seichte Unterhaltung, Sex & Crime und Schmalspur-Infotainment zu setzen – man erheischt Aufmerksamkeit, um wirtschaftlich überleben zu können. Satte Werbeinnahmen gibt es schließlich nur bei hohen Einschaltquoten und Verkaufszahlen, und das kann wiederum nur der Boulevard aufweisen – ein teuflischer Kreis tut sich auf.

„Das, was man sieht, stimmt.“ Die Schnelligkeit und Diskontinuität der TV-Bilder, die vielen Schnitte und die rasch aufeinanderfolgenden Berichte und Kommentare lassen die einzelnen Eindrücke flüchtig und unwichtig werden. Nicht wissend, ob die vielen Informationen überhaupt eine Relevanz für das eigene Leben haben, wird der Rezipient zunehmend gleichgültig bzw. apathisch. Gesellschaftspolitisch gesehen scheint es zu einer Agonie des demokratischen Lebens nicht mehr weit zu sein, das schwindende Vertrauen in staatliche Institutionen (Parteien, Parlament) ist ein alarmierendes Zeichen dafür. Günther Anders (1902-1992) ergänzt die Kritik am Fernsehen respektive an den audiovisuellen Medien:

Seiner Ansicht nach werde dem Zuschauer ein Abbild der Realität vorgegaukelt, obgleich ein Bild in Wahrheit nur einen winzigen Ausschnitt der Realität zeige. Das Publikum wird der „Urteilsarbeit“ enthoben, weil es an die Echtheit und Objektivität des Gezeigten glaube. Der Unterschied zwischen tatsächlichem Ereignis und dem subjektiv gefärbten oder manipulativ veränderten Abbild irritiere und täusche die Zuschauer. Nicht genug: Damit werde das verzerrte Abbild zusehend zum Vorbild. Das, was man im TV (Internet) sehen oder lesen könne, müsse ja stimmen! Oder nach Anders: Die Lüge habe sich wahrgelogen.

Gewiss, der Fernseh- oder Internet-Konsument ist sich seiner Medienabhängigkeit oft gar nicht bewusst, auch deshalb kann er relativ schnell anfällig für Verschwörungstheorien und eine esoterische Weltsicht werden. Mitunter setzt ein typisches Schwarz-Weiß-Denken ein: Während andere Menschen oder Medien als „böse“ und „falsch“ („Lügenpresse“, abgehobene Elite) wahrgenommen werden, empfindet man nur die eigenen Ansichten als gut und richtig. Der österreichisch-amerikanische Psychotherapeut Otto F. Kernberg (*1928) sieht im übermäßigen Konsum von Massenmedien vielerlei Gefahren:

Zum einen würden das Fernsehen und die sogenannten sozialen Medien ein illusorisches Gefühl der Gemeinschaft erzeugen, einer Verbindung, die es so gar nicht gäbe. In den meisten Serien, wie auch in vielen Spielfilmen wären die Rollen der Charaktere klar und unmissverständlich verteilt. Am Ende gewinne fast immer der Gute, während der Böse bestraft würde. Die Zuschauer würden nicht (mehr) nachdenken, ob die einzelnen Filmsequenzen sinnvoll und logisch zusammenpassen, man akzeptiere einfach die dargebotene Moral. Sogar im Bereich der Information delegiere man sein Urteil:

Während scheinbare Autoritäten Neuigkeiten vermelden und schnelle Bildfolgen das soeben Gesagte illustrieren, könne der überforderte Zuseher das soeben Gesehene und Gehörte gar nicht mehr einordnen, verstehen und bewerten. Die Medien würden so das Denken und Fühlen der Zuseher tiefgreifend beeinflussen bzw. manipulieren. So dürfte vielen Menschen nicht bewusst sein, dass die Massenkultur sowohl ein Instrument der sozialen Kontrolle als auch der herrschenden Gesinnung oder sogar der Ideologie einer Gesellschaft (eines Staates) werden kann oder, was noch schlimmer ist, mancherorts schon längst geworden ist.

Eine gängige Lehrmeinung aus der Psychologie ist, dass ein leichtgläubiger und passiver Konsument von Produkten der Massenkultur auf die Stufe eines Kindes zu regredieren droht, das von früh internalisierten und relativ einfachen (begrenzten) Moralvorstellungen abhängig ist und dadurch unfähig wird, komplexere Sachverhalte zu analysieren bzw. zwischen Meinungen, Tatsachen und Darstellungen zu differenzieren. Ein Missverhältnis zwischen dem „Ich-Ideal“ und dem „tatsächlichen Ich“ kann dabei nicht nur zu Depressionen und Neurosen führen, sondern ist auch anfällig für autoritäre Machtstrukturen. Sind wir also in der „Schönen neuen Welt“, im modernen Überwachungsstaat, schon längst angekommen?

Während in den Anfangsjahren des Internets viele Menschen in Bezug auf Neue Medien von Partizipation, Diversität und mehr Demokratie geträumt haben, mehren sich zunehmend skeptische Stimmen, die eine soziale Aufsplitterung der Nutzer befürchteten, die aufgrund ihrer spezifischen Interessen aus einer schier unbegrenzten Informations-fülle nur die wenigen für sie wichtigen Elemente auswählen. Eine zu beobachtende Fragmentierung der Gesellschaft in abgesonderte und polarisierende, teilweise sich feindselig gegenüberstehenden Milieus stellt heute eine unreflektierte und unkontrollierte Nutzung der unterschiedlichen Medien zunehmend in Frage.

Derweil inszenieren sich manche Prominente wie auch Politiker mit Medien-Events und nichtssagenden Pressekonferenzen, wobei erstere oft Aufregung und Hysterie, zweitere eher Ignoranz und Wut hervorrufen. Eine Verantwortung für ihr provokantes, die Gesellschaft spaltendes Tun lehnen sie aber ab. Damit das Unbehagen und die Irritation bei den Bürgern und Wählern nicht allzu lang währen, sendet man vorsichtshalber schnell die nächsten „Breaking News“ bzw. sensationelle oder atemberaubende Bilder. Nachdenken und überlegen sind nicht erwünscht.

Die Wahrheit stirbt wahrscheinlich zuerst im Krieg, aber sie leidet auch im Frieden. Ob nun scheinbar unwiderlegbare Tatsachen oder vorsätzliche Falschmeldungen, die Wirklichkeit wurde und wird fortwährend verändert, inszeniert und manipuliert. Die Steuerung der öffentlichen Meinung (Stimmung) scheint oft wichtiger zu sein als die vielleicht mühsame Klärung eines Sachverhalts. Der Wille zur Macht ist mit der Suche nach Wahrheit nicht kompatibel.

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