Der Klang der Stimme - oder - der Ton macht die Musik!
Salzburg [ENA] Die französische Sentenz, „C'est le ton, qui fait la “, taucht als Sprichwort bereits ab 1765 in deutsch-französischen Wörterbüchern auf. Die in vielen Sprachen bekannte Redewendung besagt, dass der Tonfall des Gesagten bzw. die Freundlichkeit des Auftretens wichtiger für die Wirkung eines Menschen ist als der eigentliche Inhalt einer Äußerung. Zwischen zartem Flüstern und lautem Fluchen liegen demnach Welten...
Wollen wir ein Baby in den Schlaf singen, nehmen wir es unwillkürlich an die linke Schulter. Unser gleichmäßiger Herzschlag wirkt beruhigend auf das Kind – noch dazu hilft eine leise, gesummte Melodie, dass sich der kleine Mensch nach kurzer Zeit richtig wohl fühlt – und vielleicht sogar einschläft. Die sanfte Stimme, die Vibrationen des Summens auf unserem Oberkörper, die Wieder¬holungen der schlichten Melodien und allenfalls auch das sachte, bedächtige Tempo des Liedes scheinen für das Baby sehr angenehm zu sein. Im Zorn dagegen können wir ordentlich austeilen – auch sprachlich:
Ein Fluch kommt selten allein, und die Verwünschungen können es in sich haben: Damit ein Schimpfwort hält, was es verspricht, muss es eine kulturelle bzw. gesellschaftlich regulierte Grenze überschreiten und demzufolge verletzend und beleidigend sein. Typisch tabuisierte Inhalte sind Religionsthemen, Sterben und Tod, Fäkalien und eine derbe, „unanständige“ Sexualität. Erwachsene, die sich mit kleinen Kindern beschäftigten, kennen die Welt der „Kacka-Pippi-Lulu-Pups“, während Eltern oder Lehrer von Pubertierenden mitunter das Vokabular der Youtube-Generation („Cocksucker“, „Motherfucker“, „Shit“, „Bitch“, „Ass“, „Dick“) ungefragt aufschnappen – für viele Rapmusiker scheinen diese Ausdrücke ohnedies unentbehrlich zu sein.
Der Klang der Konsonanten: Neben der Lautstärke – niemand kommt auf die Idee, sein Kind oder seinen Enkel schreiend in den Schlaf zu singen, und auch keiner wird, nachdem er sich mit dem Hammer unabsichtlich auf den Finger geschlagen hat, lispelnd und leise das Werkzeug verwünschen – hat auch die Klangfarbe der Stimme, haben die phonetischen Eigenschaften der Sprache, eine besondere Bedeutung. Ganz allgemein und wissenschaftlich korrekt können Konsonanten und Vokale auf der Grundlage einer abnehmenden Verengung des Vokaltraktes angeordnet werden.
(1) Bei Plosiven oder Explosivlauten (p, b, t, d, k, g) wird der Luftstrom des Atems blockiert. Man spricht auch von „Verschlusslauten“. Entweder schließen die Lippen den Mund oder die Zunge berührt den Vokaltrakt (das Ansatzrohr). (2) Bei Affrikaten („Verschlussreibelauten“), wie zum Beispiel „ts, tsch, dsch“ verbindet sich ein Verschlusslaut mit einem Reibelaut. Die Plosion geht direkt in den Frikativ über. (3) Bei Frikativen („Reibelauten“) entsteht in der Mundhöhle eine Engstelle, die die ausströmende Luft „verwirbelt“ und damit den stimmlosen oder stimmhaften Reibelaut (s, f, v) bewirkt.
(4) Approximanten („Annäherungslaute“) sind Laute (in der Regel Konsonanten wie l, r, w und auch Nasallaute wie n und m), bei denen die ausgeatmete Luft ziemlich gleichmäßig und ungehindert durch den Mundraum (die Nase) strömen kann. (5) Vokale (a, e, i, o, u) sind im Allgemeinen stimmhaft. Sie strömen völlig ungehindert durch den Mundraum, wobei offene (a, ae), halboffene (e, o) und geschlossene Selbstlaute (i, u) zu unterscheiden sind.
Die Vermutung liegt nahe, dass Wiegenlieder und besänftigende Worte auf der einen, sowie Schimpfwörter und Flüche auf der anderen Seite völlig unterschiedliche Klangfarben gebrauchen, wobei selbstverständlich der Inhalt des Gesagten (der Sachaspekt), die Offenbarung des eigenen Empfindens (Selbstaussage), die Ausrichtung auf eine bestimmte Person (der Beziehungsaspekt) und vielleicht auch ein gewisser Appellcharakter (Aufforderung an die andere Person) eine wesentliche Rolle spielen (vgl. dazu auch Friedemann Schulz von Thun). Auf jeden Fall scheint die Art und Weise, wie man etwas ausspricht, oft wichtiger zu sein als das, was man sagt.
In der Kunst macht nicht nur der Ton die Musik – der Komponist kann auch genau bestimmen, wie er die Interpretation seines Werkes in der Ausführung wünscht (z.B. „amoroso“ = „liebevoll, zärtlich“ oder „gridato“ = „geschrien“ bzw. „tempestoso“ = „stürmisch, ungestüm“). Große symphonische, also großteils wortlose Werke leben von dem Kontrast der einzelnen Sätze. So folgt auf ein schnelles und lautes Allegro oft ein zartes und leises Adagio...
Warum fluchen wir? Das lautstarke Schimpfen ist zumeist eine hoch emotionale Reaktion auf einen gerade erlebten Ärger, Streit oder Schmerz – es leistet somit eine kathartische Aufgabe. Das Fluchen erfüllt sozusagen die Funktion eines „emotionalen Ventils“ – man lässt bewusst Druck oder Dampf ab, und es geht einem sofort besser. Dieses Phänomen ist übrigens mehrfach durch Experimente bewiesen worden: Flüche machen den Körper schmerzresistenter. Indem man sich den Frust von der Seele schreit, scheinen sich die Wut oder der erlittene Schmerz schon zu verziehen.
Prinzipiell grenzen personalisierte Flüche aus, weil sie jemanden beleidigen, kränken und verletzen. Innerhalb einer Gruppe (eines Milieus) lässt sich allerdings beobachten, dass sich Menschen – gerade, wenn es ihnen gut geht –, gegenseitig necken und sich eher spaßeshalber mit Schimpfnamen und Flüchen überschütten, ohne dass es als Demütigung oder Erniedrigung verstanden wird. Dieses „böse“ und unanständige Gerede kann als ein Zeichen von Gruppenzusammenhalt gedeutet werden.
Bemerkenswerterweise werden Flüche im Gehirn nicht, was zu erwarten wäre, in den Broca- und Wernicke-Arealen, also den Sprachzentren, gespeichert, sondern im Limbischen System, dem Zentrum der Emotionen und Triebe. Das Gehirn „weiß“ also sehr wohl, dass ein Fluch eher als „Gefühlsausdruck“ zu werten ist, und nicht als intellektuelle Botschaft, die man rational „verstehen“ muss. Wiederum ist offenkundig der Klang sehr bedeutsam.
Die Symbolik der Laute: Wenn schon das Gehirn die Bedeutung von Silben und Worten nach Klang „sortiert“, muss es eine Semantik der Laute und Klänge geben. Einer neuen Studie zufolge (Shiri Lev-Ari und Ryan McKay, Psychonomic Bulletin & Review, 2022) gibt es, was den „Sound des Fluchens“ betrifft, überraschende Lautmuster. Bei Kraftausdrücken fehlen Approximanten, gleichzeitig sind aber Plosive sehr stark vertreten. Bei Wiegenliedern ist es dagegen umgekehrt – Explosivlaute würden ein Kleinkind wahrscheinlich sehr schnell aufwecken.
Dass die Lautstärke auch mit der Empfindung zu tun hat, ob wir ein Wort oder einen Satz als Fluch oder als Einschlafhilfe wahrnehmen, ist bereits erwähnt worden. Plötzliche Aufschreie erleben wir als Gefahr – das Wort „Lärm“ ist bereits im italienischen „alle arme!“ („Zu den Waffen!“) enthalten. Ein Gemurmel in einem sachten Pianissimo wirkt hingegen nicht nur auf Schüler und Schülerinnen sowie Gläubige in der Kirche einschläfernd.
Ein Spiegel der Persönlichkeit: Der Begriff „Stimme“ stammt höchstwahrscheinlich vom indogermanischen „stemn-ā“, einem Wort für „Mund“, ab. Seit dem Mittelalter vermutet man einen Zusammenhang zwischen der Stimme und dem Charakter des Menschen. Eigenschaften wie Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Geselligkeit, Rücksichtnahme und emotionale Labilität wurden und werden immer wieder mit der Stimme und ihrem Klang in Verbindung gebracht. Auch wenn einige Zuschreibungen scheinbar auf der Hand liegen – endgültige Entsprechungen sind (bis jetzt) nicht überliefert.
Leise und sanfte Stimmen voller Approximanten vermitteln Geborgenheit und „Nestwärme“ (vgl. auch den Text der Wiegenlieder „Guten Abend, gut’ Nacht, mit Rosen bedacht“ und „Schlafe, schlafe, holder, süßer Knabe, leise wiegt dich deiner Mutter Hand“). Kreischende, zischende Konsonanten oder Explosivlaute hingegen verstören und verunsichern. Vielleicht, weil wir unbewusst schon wissen, dass es sich um boshafte oder „gefährliche“ Wörter handelt? Diesbezüglich sei auf unsere bayerischen Nachbarn verwiesen, die so wunderbar fluchen können.
Quasi als Bestätigung können ein paar Klassiker angeführt werden: (1) Kreizkruzefix – Himmeherrgottsakrament – Leck‘ mich doch am Arsch! (2) Du Brunzkachl, du ogsoachte. Du g’hörst ja mit da Scheißbürst’n nausghaut! (3) Hoid die Fotzn, du Schoaßblodern, du mistige!