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Arbeit: Mühsal, Plage oder Sinn und Zweck?

Verantwortlicher Autor: Herbert J. Hopfgartner Salzburg, 01.05.2023, 22:02 Uhr
Presse-Ressort von: Prof.Mag.art.DDr.phil. Hopfgartner B.A. Bericht 15126x gelesen

Salzburg [ENA] Ist nun der Müßiggang oder die Arbeit ein Fluch für den Menschen? Nach G.E. Lessing "ist das Vergnügen ebenso nötig wie die Arbeit." Gewiss, der Kalauer, wonach der Mensch entweder lebt, um zu arbeiten – oder arbeitet, um zu leben, zeigt die Ambivalenz des Begriffes in den verschiedenen Zivilisationen und Kulturen. Dementsprechend verrät die etymologische Spurensuche einiges:

Die indogermanische Silbe „orbh“ („verwaist“) beschreibt anscheinend ein schwer arbeitendes Kind, das althochdeutsche „arabeit“ und das mittelhochdeutsche „arebeit“ deuten in ähnlicher Weise auf „Mühsal“ und „Not“. Das englische „labour“ und das italienische „lavoro“ gehen auf das lateinische „labor“ zurück, das ebenfalls mit „Arbeit, Anstrengung, Mühe, Strapazen“ zu übersetzen ist. Das französische Verb „travailler“ („arbeiten“) stammt wahrscheinlich vom vulgärlateinischen „tripaliare“ („foltern“) ab, wobei das Substantiv „tripalium“ auf ein Folterinstrument verweist. Die Franzosen denken bei der „Arbeit“ möglicherweise an eine jahrzehntelange Grausamkeit…

Vermutlich waren es die ersten sesshaft gewordenen Menschen, die sich selbst versorgen und vielleicht schon einen kleinen Überschuss produzieren konnten. Mit dem Handel dieser Waren wurden Arbeitszeiten und Arbeitskräfte anders bewertet als bei Nomaden. Mit der Zeit entstanden verschiedene Berufszweige und Arbeitsfelder, wobei die Spezialisierung auf die Produktivität und die Qualität der hergestellten Geräte zunächst wohl einen positiven Einfluss hatte. (Eine monotone Arbeit wird von den Arbeitnehmern in der industriellen Gesellschaft dagegen eher als belastend empfunden.)

Negotium, eine amusische Qualität: Ganz anders wird der Begriff der Arbeit in der griechischen Antike behandelt: Während Hesiod die anstrengende und mühevolle Arbeit der Bauern als ehrliche und nützliche Tätigkeit beschreibt, vermissen Sokrates und Platon in fremdbestimmten, handwerklichen Tätigkeiten wichtige menschliche Qualitäten wie z.B. Selbstverwirklichung und Erkenntnisgewinn oder die bewusste schöpferische Kraft der Gestaltung. Ähnlich wie Pythagoras und Aristoteles erkennen die „klassischen“ Philosophen die Kontemplation als Basis und Voraussetzung für eine vor allem intellektuelle Aktivität.

Selbstverständlich bezog sich diese Darstellung und Argumentation ausschließlich auf die Tugenden einer geistigen und politischen Oberschicht. Bezeichnenderweise sind von Archimedes in Bezug auf seine technischen Erfindungen keine Aufzeichnungen, was deren praktische Anwendungen belangt, bekannt: Auch für ihn zählt der aristotelische Begriff der „Poiesis“ im Sinne eines freien Schöpfertums mehr als das handwerkliche Tun. Nicht umsonst nannten die alten Griechen den lohnabhängigen und dienenden Handwerker „Banausos“. Freilich – und die Ergänzung scheint wichtig: Sklaven hatten in der Antike so gut wie keine Rechte.

Sie mussten arbeiten und wurden nicht einmal als Menschen betrachtet. Sie „gehörten“ als Sache einem freien und sie beherrschenden Bürger. Auch heute bringen genügend Menschen den Begriff der Arbeit vor allem mit Mühsal und Anstrengung in Verbindung, mit einer fremdbestimmten Zeit also, die als Gegensatz zur Muße, Erholung und zur Ruhezeit empfunden wird. Viele Erwachsene geben an, dass die Arbeit schlicht und einfach zur Sicherung des Lebensunterhalts oder zur stetigen Verbesserung der zukünftigen Lebensbedingungen diene. Demgegenüber fühlen sich nicht wenige „Arbeit-Nehmer“ in ihrer Tätigkeit auch sozial integriert:

Man geht zur Arbeit, weil man angenehme Kollegen oder sogar Freunde trifft, die eigene Leistung wertgeschätzt wird und weil man zusammen mit anderen Genossen (ahd: „ginoz“ = „jemand, der mit einem anderen etwas genießt“) verschiedene Aufgaben lösen kann. Selbstbewusst zeigt sich der zufriedene Kunsthandwerker oder Künstler: Seine „Arbeit“, die er erdacht, geschaffen und fertiggestellt hat, präsentiert er stolz der Öffentlichkeit. Etwas nicht eigenverantwortlich tun zu müssen, empfinden wir mitunter als Zwang, der in der Regel wenig bis gar keine Freude macht und körperliche wie seelische Erkrankungen hervorrufen kann.

Eine frei gewählte Tätigkeit hingegen macht Lust, auch wenn sie manchmal sehr beschwerlich ist. Diese selbstbestimmte Arbeit hat zuweilen keinen großen wirtschaftlichen Nutzen; oftmals wird nicht einmal der soziale Status verbessert – und trotzdem ist die Sehnsucht nach selbst hergestellten Produkten, Leistungen, Schöpfungen, Artefakten – eben nach „Früchten eigener Arbeit“ – sehr groß. Der aus freien Stücken werkende Mensch schafft und stellt etwas her, weil es ihm ein Bedürfnis ist, während die „aufgezwungene“ Lohnarbeit („Bullshit-Job“) als abstumpfend und trostlos empfunden wird.

„Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht (mit)essen.“ Der oft missverstandene Satz (2. Brief des Paulus an die Thessalonicher) richtet sich vermutlich nicht gegen Arbeitsscheue und Faule, sondern gegen jene, die andere, meist Unterprivilegierte für sich arbeiten lassen. Das Diktum kann sozusagen auch als flammender Apell gegen die Spaltung von Arm und Reich gedeutet werden. Die Ambivalenz der antiken Bedeutung von Arbeit lässt sich in der Geschichte weiterverfolgen:

Der benediktinische Leitspruch „ora et labora“ kann als Fortsetzung des antiken Gedankenguts angesehen werden, wonach der freie Mensch in der vita contemplativa die Glückseligkeit erreichen kann, da er in der Betrachtung des geistigen Lebens, in der Gottesschau sein Leben ethisch und weise gestaltet. Als Kontrast zum Aktivismus der niederen Stände – diese konnten sich den Arbeitszwängen nicht entziehen – ahmte der zur Spiritualität fähige und bestimmte Mensch Gott nach. Die Nennung beider Tätigkeiten, nämlich das Beten und das Arbeiten, stellt seit dem Spätmittelalter wenigstens eine Integration einer spirituellen und leiblichen Aktivität dar.

Für Huldrych Zwingli, Johannes Calvin und Martin Luther war das Arbeiten eine Pflicht, um im irdischen Leben den Segen Gottes zu erhalten. Nach der Pflichterfüllung durfte und sollte der Mensch die „Früchte der Arbeit“ in einer gottgefälligen und feiertäglichen Mußezeit genießen. Die protestantische Arbeitsethik stellte Fleiß, Genügsamkeit und die körperliche Beschäftigung somit in den Mittelpunkt des menschlichen Lebens. Im Zeitalter der Aufklärung wurde der Begriff „Arbeit“ mit naturrechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Theorien verknüpft, wobei man die Einflüsse von „Grund und Boden, Kapital und Arbeit“ erstmals als Faktoren für eine Produktion von Waren diskutierte.

Dass „Arbeit“ gewisse Kosten, Löhne und Preise verursachte bzw. beeinflusste, war ebenfalls ein neuer Aspekt in den ökonomischen Betrachtungen. Während John Locke durch die „privatistische Aneignung der Natur durch Arbeit“ eine Entwicklung von Eigentum prognostizierte, verstand Adam Smith Arbeit bereits als Quelle eines gesellschaftlichen Wohlstandes. Die meisten Philosophen des frühen Idealismus sahen in der Arbeit eine sittliche Pflicht und Existenzbedingung des Menschen, Karl Marx und Friedrich Engels bemerkten jedoch auch die immer größer werdende Kluft zwischen der schönen neuen Welt der Arbeitgeber und dem prekären Lebensbereich der Arbeitnehmer.

Erstmals wurde eine auf Ausbeutung der Arbeitskräfte basierende soziale Ungerechtigkeit erwähnt bzw. kritisiert: Die „Entfremdung der Arbeit“ zwang die Tagelöhner, ihre Arbeitskraft an die Eigentümer der Produktionsmittel zu veräußern. Ihr körperlicher Einsatz wurde zur Ware und gegen den geringen Arbeitslohn eingetauscht. War der Kapitaleigner vornehmlich am Profit bzw. an der Profitmaximierung interessiert, benötigte der Arbeitnehmer – weil austauschbar – unbedingt den Lohn bzw. den Arbeitsplatz, auch wenn dieser gesundheitsgefährdend und die Arbeit schlecht entlohnt war.

In den letzten 150 Jahren wurde die Arbeit wesentlich dem „Reich der Notwendigkeit“ zugeordnet, wobei der aus freiem Willen handelnde und tätige Mensch mehr und mehr vom Vasallen, Hörigen und Sklaven unterschieden wurde. In der Theorie emanzipierte und entspannte sich der werkende Mensch im feiertäglichen „Reich der Freiheit“ und fand hier – in Ergänzung zur anstrengenden Arbeit – einen lustbetonten Bereich der Kommunikation, Unterhaltung, des Spiels und der Kunst. Man diskutierte den Begriff der Arbeit in zunehmendem Maß als zweckrationales Tun, sittlich-moralisches Handeln und als befreiendes Spiel kreativer Tätigkeiten.

Die aktuelle Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen heizt– vor allem in der westlichen Welt – die Debatte um den Wert und die Bedeutung der Arbeit neu an. Die faszinierende Idee, wonach jeder Mensch „von der Wiege bis zur Bahre“ monatlich einen fixen Geldbetrag erhält, um selbst entscheiden zu können, wie viel, wo und wann er arbeiten möchte, wird in vielen Ländern kontrovers diskutiert. Problematisch ist, dass es „den“ Menschen, „die“ Arbeit und „die“ Lebenseinstellung nicht gibt; eine Regelung für alle würde jedem Einzelnen wohl nicht gerecht werden.

Wenn eine Region oder Nation dieses Projekt starten würde, würde es (außer in einem sehr begrenzten Rahmen) höchstwahrscheinlich relativ schnell scheitern, da diese Stadt oder dieses Land wohl in kurzer Zeit ein veritables Migrationsproblem hätte. Allein die Finanzierung scheint – in größeren Dimensionen gedacht – nicht gelöst, da etwaige Steuern auf Finanztransaktionen nicht von einem Land allein zu regeln sind. Dasselbe gilt für die Besteuerung von Konsumgütern, auch hier erscheint eine isolierte (nationale) Vorgangsweise nicht wirklich zielführend.

Humanität und soziales Gewissen: Die immer lauter werdenden Debatten um Pflege und Fürsorge, Kindererziehung und Hilfsdienste – also „Care-Arbeit“, Tätigkeiten also, die zu großen Teilen von Frauen übernommen und ausgeführt werden – stellen die traditionellen Unterscheidungen in produktive und reproduktive, bezahlte und ehrenamtliche (selbstlose und unbezahlte) Arbeit zunehmend in Frage. Dass diese Dienste („Tätigkeit des Dienens“) eine große Bedeutung für das Funktionieren einer Solidargemeinschaft darstellen, leugnet mittlerweile niemand mehr; ansatzweise wird diskutiert, ob es sich hierbei um eine zu honorierende Beschäftigung handelt.

Unverständlich erscheint aber der Umstand, dass die Politik – auch in den führenden Industrienationen und reichsten Ländern der Erde – kaum an fairen und nachhaltigen Lösungen interessiert zu sein scheint. Generell ist zu überlegen, ob in einer Zeit neuer Prekariate, der Vereinzelung des arbeitenden Menschen und des globalen Lohndumpings der Mensch mehr sein muss als ein „homo laborans“. In vielen Ländern ist das Phänomen zu beobachten, dass Frauen nach über 40 Jahren Arbeit kaum von ihrer Pension leben können.

John Maynard Keynes prognostizierte in den 1930er Jahren, dass innerhalb der nächsten 100 Jahre die Arbeitszeit durch den technischen Fortschritt auf 15 Stunden in der Woche sinken würde. Von Automatisierung und Digitalisierung wusste Keynes noch nichts. Am Arbeitsmarkt ist diese Vision noch nicht angekommen: Global agierende Konzerne werden – auch weil die Firmen kaum Steuern bezahlen – immer mächtiger, die Ungleichheit an Wohlstand und Vermögen wächst nach wie vor und in vielen Industrieländern fehlen Fachkräfte.

Vor allem jüngere Menschen sprechen von „Work-Life-Balance“ und meinen damit weniger (fremdbestimmte) Arbeit und mehr Autonomie bzw. Freizeit. Das optimale Leben ist für sie nicht mehr ausschließlich von einer „Arbeits- oder Berufspflicht“ geprägt. Das erinnert auffallend an die „Hinwendung zur artistischen Lebensführung“ der 68er-Generation. Michel Foucault stellte damals, mitten im 20. Jahrhundert, fest, dass „das Leben und die Zeit des Menschen nicht von Natur aus Arbeit sind.“ Stattdessen „sind sie Lust, Unstetigkeit, Fest, Ruhe, Bedürfnisse, Zufälle, Begierden, Gewalttätigkeiten, Räubereien etc.“

Möglicherweise lässt sich die jüngere Generation mit ihren Forderungen, Wünschen und Sehnsüchten nicht in eine Rolle pressen, die ihr von außen aufgezwungen wird. Gerade jüngere Menschen sehnen sich nach mehr Lebensqualität und eben nicht nur nach einer geregelten Arbeitszeit. Was noch zu klären ist/sein wird, ist, ob wir uns das als Gesellschaft (lokal, regional, national oder international) überhaupt leisten werden können.

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