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Doppelinterview Michael Mauer und Axel Lund Svindal

Verantwortlicher Autor: Rampstyle #20 Reutlingen, 21.07.2020, 11:58 Uhr
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Reutlingen [ENA] Wenn ein Designer keine Timeline bekommt, macht er bis in alle Ewigkeit weiter! Michael Mauer, Leiter Style Porsche, und der ehemalige Skirennfahrer Aksel Lund Svindal sprechen im Interview mit rampstyle über perfekte Linien und diesen Augenblick, in dem man intuitiv weiß, was richtig ist, über die Theorie des Autodesigns und des Skirennsports, ihren kreativen Flow und erfolgreiches Scheitern.

Welche Rolle spielt die Theorie bei Ihrer Arbeit? Mauer: Wenn ich ein Modell betrachte, kann ich mitunter nicht genau sagen, was es ist – aber es hat auf mich nicht die richtige Wirkung. Dann ist zuweilen ein Bruch mit Prognosen aus dem Lehrbuch notwendig. Die Technik ist heute noch nicht in der Lage, Dinge immer so auszuarbeiten, dass es richtig, schön und gut wirkt. In diesen Momenten greift im Design der Aspekt Erfahrung.

Svindal: Im Skisport macht die Mathematik es oft einfacher, im Team eine Lösung zu finden. Wir nutzen viele Analysetools und Videoelemente. Zwar kann der Athlet auch vieles spüren, aber das ist subjektiv. Wenn es zur Leistungsoptimierung in eine Diskussion geht, kann viel Zeit verlorengehen. Die Mathematik ist dann das objektive Element, steigert die Effizienz und verkleinert den Spielraum auf dem Weg zur perfekten Linie.

Welchen Einfluss hat hier ein eigener Stil? Mauer: Man kann sich natürlich selbst im Weg stehen. Gerade im Automobilbereich muss die Marke funktionieren. Der Designer muss verstehen, welche Position sie einnimmt, welche Werte sie vertritt. Erst dann kommt die Individualisierung, die Chance, Dinge anders zu machen als der Wettbewerb. Svindal: Beim Freeriding ist das definitiv so, da gibt es riesen Unterschiede zwischen den Fahrern, jeder kann den ganzen Berg nutzen. Im Rennsport ist die Mehrzahl der Variablen gesetzt. Aber natürlich gibt es Kleinigkeiten, die die Athleten unterscheiden: Ich beispielsweise bin 1,90 Meter, das ist groß für meine Sportart. Damit kann ich über größere Wellen fahren, ohne den Bodenkontakt zu verlieren.

Ein kompakterer Fahrer hat hingegen weniger Luftwiderstand, mehr Speed, wählt dann aber auch eine andere Linie. Verschiedene Athleten verlieren oder gewinnen ein Rennen in unterschiedlichen Abschnitten. Wann realisiert man, dass man im Flow ist? Svindal: Auf der Piste spürt man ihn genau: den Rausch der Geschwindigkeit, die Konsistenz des Schnees, die Aerodynamik. Du entwickelst in diesem einen Moment das Gespür, wohin du fahren musst – erst in der Aktion ist das erkennbar. Wirklich perfekt wird es nie sein. Aber mit der entsprechenden Erfahrung realisiert man schon am Eingang der Kurve, wo man raus kommen wird, wie gut die Linie ist.

Und wenn es nicht passt, ist die Kunst, schnellstmöglich zurückzukehren, ohne viel Geschwindigkeit zu verlieren – da sprechen wir von Sekundenbruchteilen. Mauer: Im Design ist die Zeitspanne etwas komfortabler. Wichtig ist hier, die Abweichung überhaupt zu akzeptieren. Manchmal ist ein Kompromiss in Teilen des Schaffensprozesses sinnvoll, um in der Gesamtheit näher an das Optimum heranzureichen. Die perfekte Linie imDesign kann nur eine Momentaufnahme sein. Es gibt diese Augenblicke, in denen man denkt: Wow, das funktioniert. Mit etwas Abstand verwandelt sich diese Sicht dann in ein: Okay, es geht eigentlich noch besser. Vermutlich ist das ein natürlicher, menschlicher Aspekt.

Also gibt es die perfekte Linie gar nicht? Mauer: Was ist denn eigentlich die optimale Form, die optimale Linie? Vielleicht ist es die für mich, aber ob das für zigtausende andere Menschen auch zutrifft, ist eine ganz andere Frage. Ein bestimmtes Design kann beispielsweise auf dem Markt nicht funktionieren, weil es seiner Zeit schlicht voraus ist. Herr Mauer, wie kommen Sie in einen kreativen Flow? Mauer: Was meine Kreativität definitiv steigert, ist beispielsweise so ein Ausflug mit Aksel. Dabei muss ich mich so auf das Skifahren konzentrieren, dass im Unterbewusstsein Kapazitäten frei werden. Es ist wichtig, zwischendurch immer mal wieder abzuschweifen, bekannte Pfade zu verlassen.

Wenn ein Designer an einem Modell arbeitet und über Tage, Wochen das Gefühl hat, dass es nicht perfekt ist, die Proportionen nicht stimmen, wird er nervös. Ich mit meiner Lebenserfahrung weiß mittlerweile: irgendwann kommt sie, die Lösung. Das lässt sich schlecht pushen. Ich glaube nicht, dass ein Ergebnis gottgegeben ist oder einfach vom Himmel fällt. Aber unser Hirn arbeitet im Hintergrund, ohne dass wir es unmittelbar mitbekommen. Svindal: Ich persönlich muss mich immer gut vorbereiten, so intensiv trainieren wie möglich. Im Vorfeld möchte ich mich auf Schwierigkeiten einstellen können und einen Plan entwickeln. Das ist entscheidend, um während des Rennens Ruhe zu bewahren, klar denken zu können und die Nervosität zu überwinden.

Dennoch bleibt es unheimlich schwer abzuschätzen, wie schnell das Rennen letztlich wird, wie weit die Sprünge gehen. Manchmal steht man nach dem Vorlauf am Ziel und hat keine Ahnung, wie es klappen könnte. Beim Rennen hat man dann die schnellste Ausrüstung, auch die Wetterbedingungen ändern sich: die Konsistenz des Schnees, die Windrichtung. 5 km/h mehr oder weniger machen in den Kurven einen riesen Unterschied. Wann realisiert man, dass man im Flow ist? Svindal: Auf der Piste spürt man ihn genau: den Rausch der Geschwindigkeit, die Konsistenz des Schnees, die Aerodynamik. Du entwickelst in diesem einen Moment das Gespür, wohin du fahren musst – erst in der Aktion ist das erkennbar.

Wirklich perfekt wird es nie sein. Aber mit der entsprechenden Erfahrung realisiert man schon am Eingang der Kurve, wo man rauskommen wird, wie gut die Linie ist. Und wenn es nicht passt, ist die Kunst, schnellstmöglich zurückzukehren, ohne viel Geschwindigkeit zu verlieren – da sprechen wir von Sekundenbruchteilen. Mauer: Im Design ist die Zeitspanne etwas komfortabler. Wichtig ist hier, die Abweichung überhaupt zu akzeptieren. Manchmal ist ein Kompromiss in Teilen des Schaffensprozesses sinnvoll, um in der Gesamtheit näher an das Optimum heranzureichen. Die perfekte Linie im Design kann nur eine Momentaufnahme sein.

Es gibt diese Augenblicke, in denen man denkt: Wow, das funktioniert. Mit etwas Abstand verwandelt sich diese Sicht dann in ein: Okay, es geht eigentlich noch besser. Vermutlich ist das ein natürlicher, menschlicher Aspekt. Pusht Adrenalin? Svindal: Adrenalin kann sich so und so auswirken: Es kann helfen, Rennen zu gewinnen. Aber es kann einem auch vorgaukeln, dass alles okay ist – und eine Stunde später ist man in der Notaufnahme und sitzt im Rollstuhl, weil das Bein völlig steif geworden ist. Dramatische Situationen verbinden einen besonders eng mit Leuten in der unmittelbaren Umgebung. Dabei passiert in sechs Monaten vielleicht etwas, was sonst erst nach sechs Jahren passiert.

Dieses direkte Umfeld, dieses gegenseitige Vertrauen war mir immer extrem wichtig, um meine Leistung überhaupt abrufen zu können. Mauer: Ich glaube schon, dass der Mensch ab und zu Druck und Stress braucht. In meinem Fall heißt das, die Timeline zu halten, mit imitierten Ressourcen umzugehen. Wenn ein Designer keine Timeline bekommt, macht er bis in alle Ewigkeit weiter. Bei Aksel ist es ja ein bisschen anders: Selbst wenn die Linie nicht ganz perfekt war – die Zeit bleibt unbestechlich! Und Scheitern – wie versemmelt man erfolgreich? Mauer: Es stellt sich ja immer die Frage, wie man Niederlagen definiert und sie empfindet.

Kann ich mich mit einem Design nicht durchsetzen, frustriert das – aber genau dieser Frust kann auch Ansporn sein, meine Argumentation in Zukunft zu verbessern. Solche Situationen sind wichtig für die persönliche Entwicklung, sowohl als Mensch als auch professionell. Svindal: Wenn ich nicht Weltmeister geworden bin, war ich immer wütend auf mich. Aber letztlich helfen dir schwere Niederlagen, die Konzentration noch ein bisschen höherzuschrauben. Meine innere Haltung war immer: Heute ist eine von vielen Möglichkeiten. Wenn es heute nicht klappt, klappt es morgen.

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