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Jerusalem - ein endloser Kampf um die Heilige Stadt?!

Verantwortlicher Autor: Herbert J. Hopfgartner Salzburg, 05.12.2020, 18:47 Uhr
Presse-Ressort von: Prof.Mag.art.DDr.phil. Hopfgartner B.A. Bericht 12734x gelesen

Salzburg [ENA] In Jerusalem gibt es über 1200 Synagogen, 158 Kirchen und 73 Moscheen. Für die drei abrahamitischen Religionen ist diese Stadt, in der verschiedene Propheten, Priester, Könige und Kirchenväter sowie Heilige wie Abraham, Melchisedek, David, Salomon, Zacharias und Jesus von Nazaret gelebt und gewirkt haben, auch ein "heiliger" Ort - wohlgemerkt der jeweils eigenen Glaubenslehre.

Der amerikanische Präsident Donald Trump hat vor wenigen Jahren die US-Botschaft nach Jerusalem verlegen lassen. Damit anerkennt er die Metropole gleichsam als Hauptstadt Israels – einem Land, das sich im eigenen Selbstverständnis als Nationalstaat des jüdischen Volkes versteht. Andere Staaten folgten, die Vereinten Nationen (UN) hingegen beharren nach wie vor auf einem Mitspracherecht der arabischen Minderheit im Land. Um die Auswirkungen der letzten Entscheidungen zu verstehen, lohnt sich ein kurzer Blick in die Geschichte:

Gotthold Ephraim Lessings Bühnenstück „Nathan der Weise“ spielt in Jerusalem zur Zeit des dritten Kreuzzuges (1189-1192) während eines Waffenstillstandes. Schon damals lebten in der Heiligen Stadt verschiedene Religionen auf engstem Raum nebeneinander. Im Zentrum des 1783 uraufgeführten Stückes steht die Frage nach religiöser Toleranz. Die letzen Worte des klugen Richters, wonach „nach tausend Jahren ein weis’rer Mann auf dem Stuhl sitzen und sprechen werde“, mahnen die Religionen zu Toleranz, Humanität und Besonnenheit. Erst die Zeit werde zeigen, wer im Besitz des „richtigen Ringes“, respektive welche Glaubensrichtung nun die „gültige“ und „wahre“, sei.

Jerusalem ist eine Stadt, die viele Namen trägt: „Yerushaláyim“ (Der Bezug auf den hebr. Ausdruck „shalom“ = „Frieden“ ist umstritten), aramäisch „Uru Shalim“ („Stadt des Schalim“, des kanaanitischen Gottes der Dämmerung), von den Griechen „Hierosólyma“ („Heilige Festung“), den Römern „Colonia Aelia Capitolina“, den Arabern „al-Quds“ („das Heiligtum“) genannt. Auch als „Tochter Zions“ und „die Strahlende“ ist sie bekannt. Heilige Stätten der großen monotheistischen Religionen liegen hier buchstäblich nur wenige Steinwürfe voneinander entfernt.

Diese werden seit vielen Jahrhunderten angebetet, verehrt, ge- und beschützt, letzteres vor allem vor Barbaren und Ungläubigen – welche aus der jeweiligen Perspektive der Hüter und Bewahrer des einzig wahren Glaubens immer die anderen sind. So gewann Jerusalem für die Christen durch die Via dolorosa, den Leidensweg Jesu und die Grabeskirche, für die Juden durch die Klagemauer, den Rest des Herodianischen Tempels, und für die Muslimen durch den Felsendom und die Al-Aqsa-Moschee seine herausragende und „einzigartige“ Bedeutung.

Das christliche Abendland hat in den Kreuzzügen mehrfach bewiesen, wie gewalttätig und grausam man im Namen der Religion gegen Andersdenkende und Andersgläubige vorgehen kann. Nicht minder aggressive Terrorangriffe fanatischer arabischer Gruppen und Vergeltungsschläge der israelischen Armee prägen das Bild der letzten Jahre wie der unkontrollierte und „inoffizielle“ Siedlungsbau der Israelis sowie die darauf folgenden Racheaktionen der Palästinenser. Selbsternannte Führer von extremen „Befreiungsorganisationen“ und fundamentalen und orthodoxen Glaubensvereinigungen schüren in flammenden Reden den Hass auf die jeweils andere Partei bzw. torpedieren letztlich das friedliche Zusammenleben beider Völker sowie die Idee des Zweivölkerstaates.

Ein Kernproblem des Nahen Ostens ist es also, dass sowohl das palästinensische als auch das jüdische Volk den exklusiven Anspruch auf die Stadt Jerusalem, ein winziges Gebiet ihrer Heilsgeschichte und religiösen Überlieferung (Palästina), erheben und die kulturell-religiöse Identität des anderen so gar nicht verstehen können oder wollen. Am 29. November 1947 besiegelte die Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York die Resolution 181, die die Aufteilung des britischen Mandatsgebietes Palästina in einen jüdischen und einen arabischen Staat vorsah. Jerusalem und Bethlehem sollten dabei einen Extrastatus mit internationaler Verwaltung erhalten.

Während die meisten arabischen Führer den Vorschlag ablehnten, akzeptierte die Vorgängerregierung Israels, die „Jewish Agency“, die Resolution. Was als Plan für eine friedliche Koexistenz beider Völker gedacht war, entpuppte sich als „Provokation“ für diejenigen, die ausschließlich das Wohl des eigenen Volkes im Auge hatten. Heftige Auseinandersetzungen waren die unvermeidliche Folge. Am Vormittag des 14. Mai 1948 verließ der letzte britische Hochkommissar, Sir Alan Cunningham, per Schiff das Land, am Abend proklamierte David Ben Gurion im Museum der Moderne in Tel Aviv die Gründung des Staates Israel.

Weitere Stunden später mobilisierten die arabischen Nachbarn (Ägypten, Jordanien, Irak, Syrien, Libanon) offizielle und inoffizielle Truppen und besetzten einige palästinensische Gebiete. Im von Israel annektierten Westjordanland wiederum mussten christliche und muslimische Siedler ihre Wohngebiete verlassen. Nach zahlreichen Gefechten um die heilige Stadt einigte sich die israelische Führung mit Jordanien am 3. April 1949 auf die Teilung Jerusalems. Während die arabischen Truppen den Ostteil der Stadt mitsamt der Klagemauer okkupiert hatten, blieb den Israelis der Westen der Stadt – ohne Zugang zu ihrer heiligen Stätte. Durch das militärisch hoch gesicherte „Mandelbaum-Tor“ erfolgte der Austausch von Waren und Menschen.

Die UNO versuchte weiterhin eine „internationale“ und vor allem friedliche Lösung: Unabhängige Verwaltungen der Stadtbezirke und ein eigenes Hochkommissariat sollten für den Schutz der Heiligtümer und die Verständigung zwischen den verfeindeten Parteien einen tragfähigen und alltagstauglichen Status garantieren. Zudem wollte die UNO die Zuwanderung von jüdischen und arabischen Stadtbewohnern überwachen und gegebenenfalls einen manipulierten Zustrom unterbinden. Dass die Vorschläge der UNO mehr oder weniger ausgewogen formuliert waren, zeigt sich in dem Umstand, dass sowohl die Palästinenser als auch die jüdischen Siedler die Empfehlungen rundweg ablehnten.

Am 13. Dezember 1949 schließlich stimmte das israelische Parlament, die Knesset, mit überwältigender Mehrheit für den Antrag Ben Gurions, den Regierungssitz nach Jerusalem zu verlegen. Ein paar Wochen später, am 23. Januar 1950, offenbarte der Premierminister, dass die heilige Stadt die „ewige und unteilbare Hauptstadt“ Israels sei – nachdem Israel ein halbes Jahr zuvor als 59. Mitglied der UNO beigetreten war. Im Sechstagekrieg 1967 überfiel Jordanien das UN-Hauptquartier, worauf die israelische Armee reagierte und strategische Bezirke im Osten der Stadt zurückeroberte. Somit konnten jüdische Bürger erstmals seit der Staatsgründung an der Klagemauer beten.

Anders als die Araber gestatteten die Israelis den Muslimen den Besuch des Felsendoms. Der Tempelberg, auf dem einst der Salomonische Tempel stand, blieb zum Ärger der orthodoxen Juden unter der Verwaltung der Waqf, einer arabisch-islamischen Stiftung in Ramallah (dem „hohen Ort Allahs“), die letztlich dem jordanischen Königshaus untersteht. Gewiss, die miserablen Lebensbedingungen vieler Palästinenser infolge der jüdischen Annexion bleiben bis heute ein ungelöstes Problem, genauso wie die immer wiederkehrenden Terroranschläge der Hamas.

Nur: Das Dekret des US-Präsidenten provoziert vermutlich neue Attentate, vielleicht sogar kriegerische Auseinandersetzungen, im schlimmsten Fall sogar einen unkontrollierten Flächenbrand. Ist sein Erlass dieses Risiko wert? „Es eifre jeder seiner unbestochnen, von Vorurteilen freien Liebe nach.“ Der Satz des Richters in „Nathan der Weise“ wird ein frommer Wunsch bleiben. Solange religiöser Fanatismus und eigennützige Staatsraison ein friedliches Zusammenleben der Völker verhindern, wird Jerusalem wohl kaum eine „Stadt des Friedens“ werden.

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