Freitag, 19.04.2024 10:52 Uhr

Haarige Geschichten um den Bart

Verantwortlicher Autor: Herbert Hopfgartner Salzburg, 11.12.2021, 18:01 Uhr
Presse-Ressort von: Prof.Mag.art.DDr.phil. Hopfgartner B.A. Bericht 16830x gelesen

Salzburg [ENA] Der Bartwuchs, immerhin ein sekundäres Geschlechtsmerkmal des Mannes, wird bekanntlich durch die Ausschüttung des Hormons Testosteron ausgelöst. Auch wenn genetische Faktoren die Stärke der Haare und die Dichte des Bartes beeinflussen: Das erstmals in der Pubertät sprießende Barthaar lässt prinzipiell auf das männliche Geschlecht und eine gewisse maskuline Reife schließen.

Ob nun ein Mann eine Rasur oder einen Dreitagebart, Schnauzer („Moustache“), Henriquatre („Rund-um-den-Mund-Bart“), Kinnbart („Chin Puff“), „Soul Patch“, Mongolenbart, „Goatie“, Musketierbart, Schifferkrause, Walrossbart oder Vollbart bevorzugt, scheint heute (nur mehr) eine Frage der Mode und des individuellen Geschmacks zu sein. Um des Kaisers Bart: In der Frühzeit dürfte der Bart als Zier und Zeichen männlicher Kraft einen kultischen Charakter gehabt haben. Besonders inspirierte Menschen, wie zum Beispiel Schamanen und Zauberpriester, trugen offenbar einen besonders langen bzw. auffallenden Bart.

Während im alten Ägypten die Pharaonen als Gottheiten mit einem stilisierten und künstlichen Bart abgebildet wurden – dieser „Zeremonialbart“ war kunstvoll gestaltet und symbolisierte eine allgegenwärtige Virilität – , rasierte man die tatsächlichen Barthaare ab. Die Weisen der Antike sind uns fast ausschließlich mit wallenden Haaren und Vollbart bekannt. Die gelehrten Männer mussten keine körperliche Arbeit verrichten – sie hatten oder nahmen sich eben die Zeit und Muße nachzudenken. (Nicht umsonst bedeutete der Begriff „banausos“ ursprünglich „Handwerker“, wobei damit der lohndienende und unselbständig Arbeitende gemeint war.)

Mit Alexander dem Großen etablierte sich ein kurzer Bart, der im Kampf nicht störte – verwegene und kriegstüchtige Männer zeigten demzufolge ebenfalls ihre Virilität, dachten gleichzeitig aber auch praktisch bzw. strategisch. Die Römer kannten unterschiedliche Bartmoden: Während sich die Elite zunehmend rasierte, ließen sich einige Kaiser, die auf ihre klassische, hellenistische Bildung Wert legten, einen Vollbart wachsen. Die Soldatenkaiser wiederum taten es Alexander gleich und pflegten einen zweckmäßigen gestutzten Bart. Ob die Germanen – in den Augen der Römer ja der Inbegriff der Barbaren – wirklich allesamt Hosen (!) und wilde Bärte trugen, ist nicht hinreichend bewiesen.

Aus der „Germania“ von Tacitus geht immerhin hervor, dass besonders tapfere Germanen, nachdem sie mindestens einen Feind getötet hatten, sich einen Bart und die Haare wachsen ließen. Die Langobarden, also die wahrhaft „Langbärtigen“, waren ursprünglich auch ein elbgermanischer Stamm. Das Judentum beruft sich hinsichtlich des Bartes auf zwei Stellen im Alten Testament: In Levitikus 19, 27 ist zu lesen, dass die Israeliten das „Kopfhaar nicht rundum abschneiden noch den Bart stutzen sollen“. Gleichfalls „sollen die Priester sich auf ihrem Kopf keine Glatze scheren und ihren Bart nicht stutzen“. (Levitikus 21, 5)

Durch die strengen Levitischen Gesetze hat das Judentum wahrscheinlich bis ins 21. Jahrhundert seine kulturelle Eigenständigkeit bewahrt. Christen dagegen kennen keine diesbezüglichen Vorschriften. Bemerkenswert ist, dass das traditionelle (und fast kitschige) Jesusbild einen vollbärtigen und langhaarigen Mann zeigt, wohingegen die offiziellen Vertreter der Kirche, also Priester, Bischöfe, Kardinäle und Päpste seit Jahrhunderten ein völlig anderes Auftreten pflegen.

Der Bart des Propheten Mohammed – der entsprechende Schwur ist allen Karl May-Lesern seit Kindestagen bekannt – sei angeblich bis zum Tod, wie übrigens auch sein Haar, kaum oder nicht ergraut. Viele männliche Muslime sind der Ansicht, dass sie, zumindest der Überlieferung nach, einen Bart tragen müssen, Mohammed hätte dieses Gebot mehr oder weniger erlassen. Aus aktueller Sicht sei dazu ergänzt, dass die regierenden Taliban vor kurzem – offenbar mit dem Hinweis auf den uralten muslimischen Brauch – ein Rasierverbot in Afghanistan erlassen haben.

Der Bart als politisches Statement: Nachdem der Sonnenkönig Ludwig XIV. sich nur glatt rasiert zeigte, wurde das Tragen eines Bartes zunehmend ein Symbol für Volksnähe und Revolution. Im Frankreich des 19. Jahrhunderts existierte sogar ein entsprechender „Gesichts-Code“: Waren konservative Royalisten rasiert, trugen die Anhänger Napoleons einen so genannten Knebel- oder Musketierbart, überzeugte Republikaner Koteletten und eine Kinnbart; Liberale bevorzugten den Schnurrbart, während manche Künstler und Intellektuelle einen Vollbart trugen. Ein weit verbreitetes Phänomen stellte der schnittige Schnurrbart der Offiziere dar: Neben den deutlich erkennbaren Dienstgraden wurde der Bart zu einem generellen Statussymbol für hohe Militärs.

Vielleicht schon deshalb trugen richtige Rebellen und Revoluzzer (Karl Marx und Friedrich Engels wie später auch Che Guevara und Fidel Castro) einen stattlichen Bart, der Ungehorsam, Widerstand gegen die Staatsgewalt und den Kampf um Freiheit symbolisieren sollte. Gewiss, nach den Revolutionen im 19. Jhdt. mussten die (aufständischen) Bürgerlichen zunächst einmal erkennen, dass viele ihrer Bemühungen nicht umgesetzt werden konnten – bezeichnend ist der Umstand, dass genau zu dieser Zeit die Barttracht ihre gesellschaftliche oder vielleicht sogar politische Rolle verlor! In der Öffentlichkeit stehende Männer wählten nun verschiedene Erscheinungsstile, um sich von einander zu unterscheiden:

Napoleon III. trug einen Musketierbart, Kaiser Wilhelm II. einen hochgezogenen Schnurrbart, der österreichische Kaiser Franz Josef den üppigen Schnauz- und Backenbart. Abraham Lincoln entschied sich für einen Backenbart („Chin curtain“), der ihn (Absicht oder Zufall?) an einen Pfarrer erinnern ließ. Von Arthur Schopenhauer ist eine mehrdeutige Sicht überliefert: Einerseits meinte er, dass „der Bart, als halbe Maske, polizeilich verboten sein sollte“, weil er als Geschlechtsmerkmal „mitten im Gesicht obszön“ sei. Andererseits „gefalle er den Weibern“. Vielleicht ließ er sich deshalb seine überdimensional großen Koteletten wachsen…

Anything goes – das 20. Jahrhundert: Argumentierten die Mediziner im 19. Jhdt. noch, dass der Bart vor Sonne, Wind und Wetter schützen würde, assoziierte man im 20. Jahrhundert mit dem Bart einen Mangel an Hygiene. Außerdem dürfte die Erfindung eines Herrn King Camp Gillette den Trend verstärkt haben: Glattrasierte Männer wirkten jugendlich, dynamisch und vielleicht auch vertrauenswürdig. Kurz: Ein biederer und bürgerlicher Mann trug keinen Bart. Er rasierte sich – selbst!

Erst mit der Entstehung von gegenkulturellen Entwürfen (Beatniks, Hippies, Rastafari) änderte sich das männliche Erscheinungsbild wieder. Querdenker, unkonventionelle Aussteiger und (Lebens-)Künstler ließen sich, sowohl am Kopf, als auch im Gesicht, die Haare wachsen; nicht nur Beatles-Fans kennen die Metamorphose der vier Pilzköpfe… Gegenwärtig pflegt das Hipster-Milieu eine neue Haarmode: Richtige Männer bevorzugen Undercut-Frisur, Hornbrillen und einen stattlichen Bart. Der Gesichtsschmuck wird als Mode-Accessoire gestriegelt und gepflegt – je buschiger, desto besser.

„Wer einen Bart hat, ist mehr als ein Jüngling, und wer keinen hat, weniger als ein Mann.“ Es war William Shakespeare („Viel Lärm um nichts“, um 1600), der vor allem das Virile bzw. Biologische am haarigen Gesichtsschmuck des Mannes betonte. Völlig anders - ganz modebewusst und stylisch - sah es Salvador Dalí, der meinte: „Ohne Schnurrbart ist ein Mann nicht richtig angezogen.“ Wer jetzt eifrig und leidenschaftlich über die haarige Angelegenheit zu diskutieren beginnt, sollte natürlich nicht auf das wichtigste Zitat, die männliche Attraktivität betreffend, vergessen: „Was ein Mann schöner ist wie ein Aff', ist ein Luxus!“ (Friedrich Torberg, „Die Tante Jolesch“, 1975)

Für den Artikel ist der Verfasser verantwortlich, dem auch das Urheberrecht obliegt. Redaktionelle Inhalte von European-News-Agency können auf anderen Webseiten zitiert werden, wenn das Zitat maximal 5% des Gesamt-Textes ausmacht, als solches gekennzeichnet ist und die Quelle benannt (verlinkt) wird.
Zurück zur Übersicht
 
Info.