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Der Fan – wie er durch Leidenschaft oft Leiden schafft

Verantwortlicher Autor: Herbert J. Hopfgartner Salzburg, 21.02.2020, 21:39 Uhr
Presse-Ressort von: Prof.Mag.art.DDr.phil. Hopfgartner B.A. Bericht 15812x gelesen

Salzburg [ENA] Unter dem lateinischen Begriff "fanaticus" versteht man einen von einer Gottheit in Entzückung oder Raserei versetzten Menschen. Im deutschen Sprachgebrauch findet sich der religiös "Fanatische" vermutlich erstmalig in der Renaissance, 300 Jahre später (im 19. Jahrhundert) auch in Politik und Sport, wobei der "Fanatiker" im politischen Sinn und pejorativ gebraucht, nichts mit dem eigentlichen "Fan" zu tun hat!

Szene 1: Er sitzt jahraus, jahrein, auch bei schlechten Wetterbedingungen auf seinem für ihn reservierten Platz im Stadion, denn „seine“ Mannschaft bestreitet ein Meisterschaftsspiel. Auch wenn es für den Verein nicht so gut läuft, ist er hier, eingekleidet im Trikot des Spielmachers inklusive Schal, Kappe und Klubjacke, alles versehen mit dem Logo des Vereins. „Richtige Fans“ freuen sich und leiden auch gemeinsam. Die Mannschaft weiß das zu schätzen, die treuesten Anhänger werden jedes Mal extra begrüßt und nach dem Spiel mit Applaus verabschiedet.

Szene 2: Über dem Bett hängen unzählige Fotos der Band. Samt der Konzertkarten und Armbändern, penibel geordnet nach Tour und Stadt. In Gedanken ist das Mädchen ständig bei ihrem Star, sein Antlitz verziert neuerdings als Tattoo ihren linken Oberarm, eine Verbundenheit für die Ewigkeit… Sie hört fast ausschließlich die Songs „ihrer“ Band und diskutiert mit Gleichgesinnten leidenschaftlich sämtliche Gerüchte, die zurzeit in den Medien über die Popgruppe verbreitet werden. Wenn es doch passiert, dass auf einer Party zufällig eine andere Musik gespielt wird, weiß sie, warum diese bei Weitem nicht so gut ist wie „ihre“.

Warum begeistern sich eigentlich Menschen – Jugendliche wie Erwachsene – für einen Star, sei es in der Musik oder etwa im Spitzensport? Warum verbringen sie als bekennende Fans ihre Freizeit damit, sich mit ihren Idolen zu beschäftigen und oft täglich in deren Welt einzutauchen? Möglicherweise können wissenschaftliche Erklärungsmodelle helfen, dieses Phänomen etwas besser zu verstehen: Die Individualpsychologie von Alfred Adler, einem Schüler von Sigmund Freud, beispielsweise nennt zwei elementare Spannungsmomente des menschlichen Seelenlebens: Der Wunsch nach sozialer Bindung auf der einen sowie das Minderwertigkeitsgefühl und das daraus erwachsende Geltungsstreben auf der anderen Seite.

Grundsätzlich suchen wir die Anerkennung anderer, das Gefühl von unserer Umwelt akzeptiert und geschätzt zu werden – nur allzu gut ist aber auch das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit, Mangelhaftigkeit und Schwäche bekannt. Dass man dieser Blöße entfliehen und (gleichzeitig) in einer Gruppe reüssieren will, ist verständlich und durchaus vernünftig. Eine weit verbreitete Strategie dabei ist das Interesse einer Gemeinschaft zu teilen – oder noch besser: ein „Experte“ innerhalb dieser Interessensgemeinschaft zu werden: Man kennt alle Sportler oder Musiker beim Namen, weiß von deren (privaten) Vorlieben, speziellen Fähigkeiten und erlangt so in der Gruppe einen geachteten Status.

Augenfällig ist, dass sich „richtige“ oder „wahre“ Fans mit ihrem Idol identifizieren, es in Gestik und Wortwahl imitieren, sich mitunter ähnlich kleiden und versuchen, ihm bei jeder sich bietenden Gelegenheit nahe zu sein. Dafür reisen sie quer durch das Land, besuchen viele Veranstaltungen, obwohl es sich finanziell und zeitlich (fast) gar nicht mehr ausgeht. Da der Star für die vielen Fans ja nicht individuell erreichbar ist, engagiert man sich (sozusagen ersatzhalber) in einem Fanclub. Hier trifft man Gleichgesinnte und Geistesverwandte, Vertraute und Verbündete!

Psychologen warnen davor, das Phänomen der Identifikation zu unter¬schätzen: Wenn Menschen mit schwachem Selbstbewusstsein sich nicht nur mit Vorbildern, sondern auch mit Gruppen (Parteien) und Weltanschauungen identifizieren, kann eine gefährliche Ideologisierung entstehen: Über den Bezug zu anderen Fans wird eine kollektive Identität, das Gemeinschaftsgefühl permanent gestärkt, auch der subjektiv empfundene Selbstwert erhöht sich zusehends – konsequenterweise sucht der Anhänger ständig das aufregende und berauschende Leben im Fanblock, im Konzertsaal oder im Stammlokal der jeweiligen Verbindung.

Das schwache Ich-Gefühl des allein erlebten Alltags hingegen wird mehr und mehr genug ausgeblendet. Die Aussagen „Fußball ist mein Leben“, „Hier bin ich wer“ bzw. „Ohne meine Partei bin ich nichts!“ oder „Das ist (halt) meine Welt!“ betonen den Stolz auf die Gruppenzugehörigkeit, einen mitunter blinden Enthusiasmus und verdecken eine oft trügerische, weil vorgetäuschte Selbstüberhöhung. Nur allzu schnell kann eine übermäßige Idealisierung zu intoleranten Gesten gegenüber Andersdenkenden führen, ein Umstand, den wir nicht nur aus dem Sportbereich kennen.

Die unbewusste Idolisierung („Idol“ meint ja ursprünglich Abbild oder Trugbild!) hat in der Geschichte – gerade in wirtschaftlichen und politischen Krisenzeiten – Menschen besonders anfällig für extreme Ideologien gemacht. Vor allem dann, wenn demagogisch begabte, charismatische Führerpersönlichkeiten daran beteiligt waren… In den mitteleuropäischen Fußballstadien ist seit etwa zwanzig Jahre die Zahl der Ultra-Gruppierungen rasant angestiegen. Die stürmische Kultur des Anfeuerns, die so genannten „Groundhopper“, die früher in Spanien, Italien und Griechenland unterwegs waren, sind nun auch in heimischen Gefilden bekannt und beliebt.

Ihre extrovertierte Art der Identifikation mit dem Verein, die narzisstische Selbstdarstellung sowie das demonstrativ zelebrierte Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Gruppe faszinieren mitunter (sehr) junge Fußballanhänger – vielleicht auch Jugendliche, die sich nur schwer in die bürgerliche Gesellschaft integrieren können oder wollen. „Ultra“ zu sein besagt, eine „coole“ bzw. „chillige“ Lebenseinstellung zu besitzen, unerlaubte Mutproben zu wagen – und Spaß, auch auf Kosten anderer, zu haben. Schule, Ausbildung, Familie und andere soziale Kontakte müssen dagegen zurückstehen.

Bei Hooligans lässt sich sogar eine schleichende Entwicklung von einem „Kult des Körpers“ zu einem „Kult der Gewalt“ beobachten: Die Suche nach dem Kick, einer „animalischen Intensität“ und auch nach einem „authentischen“ Erlebnis – gemeint sind kollektive Trinkorgien sowie Schlägereien mit feindlichen Gruppierungen oder der Polizei – lassen die bürgerliche Welt der Beschränkungen, Antriebslosigkeit und möglicher Misserfolge scheinbar unwichtig werden. Stattdessen frönen Hooligans der Lust zur Selbstinszenierung: In Militarylook und Bewaffnung sind sie – prinzipiell als Horde unterwegs – schnell zur Gewalt bereit.

In ihrer Sprache finden sich Wörter wie „Krieg, Hass, Schlacht, Bullenschweine“, wobei, die Bemerkung sei erlaubt, der Fußballsprache ja an sich schon eine verrohende Tendenz innewohnt: In jeder Berichterstattung finden sich Floskeln wie z.B. „tödliche Pässe, überfallsartiger Angriff, Bombe, offener Schlagabtausch, Sturmtank…“ Ein ausgeprägter oder extrem betriebener Fanatismus ist ein Phänomen, bei dem ein Teilaspekt des Lebens übermäßig idealisiert wird. Dieser „Fetisch“ kann zu Lasten einer die Wirklichkeit betreffenden Selbstreflexion bzw. eines stabilen Lebens in unterschiedlichen sozialen Milieus gehen.

Schwierigkeiten im Beruf, aber auch Spannungen mit Partnern oder familiären und nachbar-schaftlichen Bezugspersonen sind nicht selten die Folge. Gewiss, wer sich hin und wieder, allein oder in geselliger Runde ein spannendes Fußballspiel oder die Lieblingsband „gibt“ und dafür sogar die eine oder andere Reise auf sich nimmt, ist noch lange kein „pathologischer“ Fan. Er oder sie hat einfach Spaß am Nervenkitzel, an einer unglaublichen Live-Atmosphäre, einem hochklassigen Fußballspiel oder einem fantastischen Konzert. Wie sagt schon Paracelsus: „Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis macht‘s, dass ein Ding kein Gift sei.“

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